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«Buy the rumor»

Was an gängigen Börsenweisheiten wirklich dran ist

Sie werden von Finanzexperten häufig zitiert und dienen vielen Anlegern als Faustregeln. Doch Börsenweisheiten können gewaltig in die Irre führen. Welche Aphorismen tatsächlich ein guter Leitfaden sind – und welche Investoren lieber meiden sollten.

Alex Wehnert18.10.2019, 06:00 Uhr (NZZ Finanzen)

Der Kanonendonner kündigt den perfekten Zeitpunkt zum Aktienkauf an. So will es zumindest eine gängige Börsenweisheit: Laut dem Spruch «Buy on the sounds of cannons, sell on the sounds of trumpets» bietet ein Krieg die optimale Gelegenheit, am Kapitalmarkt einen günstigen Einstiegspreis zu erhalten. Blasen jedoch die Trompeten zum Frieden, sollten Investoren ihre Anlagen demnach schnell abstossen. «Market-Timing ist so verlockend – gleichzeitig belegt jedoch Studie um Studie, dass genau dies nicht funktioniert», sagt Andreas Hackethal, Professor für Finanzen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Wenn Investoren beispielsweise den schlechtesten oder besten Börsentag des Jahres verpassten, habe das gewaltige Auswirkungen auf ihre Renditen. Genau diese Tage zum Ein- und Ausstieg abzupassen, sei aber reines Glücksspiel.

Auch viele weitere Börsenweisheiten beschäftigen sich mit der besten Zeit zum Markteinstieg. «Buy the rumor, sell the fact», lautet eine von ihnen. Gemäss diesem Spruch lohnt es sich, Aktien einer Firma zu kaufen, solange es positive Gerüchte über diese gibt. Zum Beispiel können Spekulationen über eine bevorstehende Übernahme die Kurse beflügeln – so ist es Ende September beim strauchelnden Schweizer Stahlproduzenten Schmolz + Bickenbach geschehen.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Anleger kaufen nun Aktien des betroffenen Unternehmens, weil sie an den Wahrheitsgehalt des Gerüchts glauben, und treiben somit selbst die Kurse an. Sie planen, ihre Anteile zu verkaufen, sobald sich die Spekulation bewahrheitet. «Der Markt versucht, Fakten zu antizipieren», sagt Thorsten Hens, Professor für Behavioral Finance an der Universität Zürich. Träten die Fakten ein, sei es zu spät, um noch einzusteigen. Denn aufgrund der zahlreichen Gewinnmitnahmen fallen die Kurse dann wieder. Die Börsenweisheit beschreibt also gewissermassen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Einen ganz konkreten Zeitpunkt zum Kauf und Verkauf nennt dagegen der Spruch «Sell in May and go away, but remember to come back in September», der Marktteilnehmern eine Handelspause in den Sommermonaten nahelegt. Diese Weisheit ergibt laut Hens meistens sogar Sinn. «Nur gibt es auch Jahre wie 2018, als es im September richtig abwärtsging», sagt der Experte.

Die Regeln der Anlage

Börsenweisheiten haben also häufig Vor- und Nachteile. Laut Hens liegt der Wert der Aphorismen vor allem darin, dass sie Investoren einen Ankerpunkt geben. Hackethal hält sie als Denkstützen für hilfreich, solange sie mit den drei Grundregeln der privaten Geldanlage kompatibel seien. Diese lauten:

  1. Anleger müssen das Risiko ihrer Gesamtanlage an ihren persönlichen Zielen ausrichten. Je flexibler ein Investor bezüglich des Endbetrags und Auszahlungszeitpunkts ist und über je mehr Risikotoleranz er verfügt, desto höher darf seine Aktienquote im Depot sein.
  2. Die riskanten Anlagen sollten Investoren maximal streuen. Bei Aktien bietet sich eine Diversifikation über verschiedene Branchen und Handelsplätze an.
  3. Anleger müssen die Kosten der Geldanlage minimieren.

Die Weisheit «Hin und her macht Taschen leer» ist laut Hackethal gut mit diesen Grundsätzen vereinbar. Eine Reihe von Studien zeige, dass selbst erfahrene Privatanleger bei erhöhter Handelstätigkeit keine besseren Nettorenditen erzielten. Im Gegenteil, eine hohe Frequenz schlage wegen der Handelskosten sogar auf die Kapitalerträge.

Leidensfähigkeit ist wichtig

Auch die von dem ungarisch-amerikanischen Börsenguru André Kostolany geprägte Aufforderung «Kauft Standardwerte und ein Schlafmittel» passe zu diesen Ergebnissen. Aufgrund ihrer hohen Marktkapitalisierung bildeten Standardwerte den Gesamtmarkt besser ab als Nebenwerte und böten eine breitere Diversifikation. Mittlerweile könnten Anleger aber auch über Exchange-Traded Funds oder Indexfonds günstig eine breite Streuung erreichen.

«Ein Beruhigungsmittel sollte man schon bei sich haben, wenn man investiert», sagt auch Hens. Schliesslich sei der Mensch von Natur aus ein ängstliches Herdentier. Um am Kapitalmarkt Renditen zu erzielen, sei Leidensfähigkeit eine wichtige Voraussetzung.

Das zweischneidige Messer

Gemäss einer weiteren Börsenweisheit leidet besonders, wer in ein fallendes Messer greift – das heisst, bei Kurseinbrüchen kauft. Der Aphorismus «Don’t try to catch a falling knife» ist laut Hens aber nur bei Einzeltiteln gültig. Gute Beispiele seien die Pleiten der Fluggesellschaften Air Berlin und Swissair. Anlegern, die hier bei fallenden Kursen zugeschlagen hätten, habe der Totalverlust gedroht. Investoren sollten also warten, bis der Kurs sich wieder gefangen hat, bevor sie das Messer aufheben.

Bei Indizes ist es dagegen durchaus sinnvoll, Kurseinbrüche auszunutzen. Denn Werte, die sich dauerhaft schwach entwickeln, steigen früher oder später aus dem Index ab. Der deutsche Leitindex DAX und der Swiss-Market-Index beispielsweise haben sich in den vergangenen Jahren nach Schwächephasen immer wieder erholt. Auch das fallende Messer hat also zwei Schneiden.