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Das Wichtigste bei der Geldanlage ist, grosse Verluste zu vermeiden

Der Hedge-Fund-Manager Mark Spitznagel kritisiert die Zinsmanipulationen der Zentralbanken und warnt vor ihrem bitteren Ende. Die Modern-Monetary-Theorie bezeichnet er als ein Frankenstein-Monster.

Christof Leisinger

Mark Spitznagel kritisiert die Zinsmanipulationen der Zentralbanken. (Bild: Misha Friedman / Bloomberg)

 

Wir haben ein gewaltiges Rally gesehen in den vergangenen Monaten. Was denken Sie darüber?

Dieser Kursauftrieb ist nicht nachhaltig. Allerdings weiss wohl niemand genau, wann er enden wird.

Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

Ich komme von der österreichischen Schule. Sie besagt, dass volkswirtschaftliche Zyklen ausgelöst werden von übertriebener Investitionstätigkeit aufgrund von geldpolitischen Interventionen, die in den vergangenen Jahren früher nicht vorstellbare Ausmasse angenommen haben. Wir wandeln seit etwa zehn Jahren auf absolutem Neuland, was das anbelangt. Ich weiss nicht, wie diese Reise enden wird. Aber ich vermute, dass das Ende so desaströs aussehen wird wie in der Vergangenheit – nur wegen der extremen monetären Massnahmen eben entsprechend spektakulärer.

Heute ist wie früher von einer «neuen Normalität» die Rede, in der Inflationsraten, Zinsen und Kursschwankungen tief bleiben.

Die extrem niedrige Volatilität zeigt, dass die Investoren sehr selbstzufrieden sind. Sie scheinen ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben. Meist fühlt es sich erst am Ende eines Zyklus so behaglich an.

Wie sieht dessen Ende denn in Ihren Augen aus?

Volkswirtschaftliche Expansionsphasen sind in der Vergangenheit aus zwei Gründen ausgelaufen und Kursblasen daraufhin geplatzt: erstens, weil die Notenbanken geldpolitisch restriktiver geworden sind, und zweitens, weil die Märkte für entsprechende Impulse gesorgt haben.

Was ist wahrscheinlicher?

Nur Naive rechnen in diesem Umfeld mit der ersten Option – obwohl es im vierten Quartal letzten Jahres noch so aussah. Die Märkte und die Wirtschaft sind inzwischen so verzerrt, dass die Zentralbanken ihre Politik wohl gar nie wieder normalisieren können. Trotzdem wird sich die Lage irgendwann in der Zukunft normalisieren, weil es inflationäre Phänomene gibt.

Klingt das heutzutage nicht seltsam, wo man gemeinhin über niedrige Inflationsraten rätselt?

Wir sehen stark steigende Preise bei Vermögenswerten, und die ersten Regungen der Headline-Inflation werden sich an der Nominalrendite lang laufender Bonds ablesen lassen. Diese kann von Notenbankern nicht kontrolliert werden. Irgendwann wird der Markt auf entsprechende Impulse reagieren, aber sehr wahrscheinlich nicht schon morgen.

Ist das eine Prognose?

Nein, das ist eine makroökonomische Lagebeurteilung. Wir brauchen keine Prognosen für unsere Anlagestrategie. Was wir tun, ist nicht auf das geschickte Timing angewiesen.

Was machen Sie konkret?

Wir gehen mit dem grössten Teil unserer Gelder systematische Risiken ein und sichern mit einem kleineren Betrag die Tail-Risks ab. Damit sind Ereignisse gemeint, die an sich ziemlich unwahrscheinlich sind. Auf diese Weise verlieren wir normalerweise ständig etwas Geld, aber bei extremeren Kursbewegungen nach unten machen wir aufgrund der Verwendung nichtlinearer Finanzinstrumente gute Gewinne. Das ist der Unterschied zu den konventionellen Methoden, das Vermögen in unterschiedlichem Ausmass auf Aktien und Anleihen zu setzen oder die Risiken gemäss moderner Portfoliotheorie zu streuen.

Sind das denn keine valablen Methoden?

Die Diversifikation verringert in der Theorie die Volatilität eines Portfolios – was in den Augen der meisten etwas Gutes ist. Leider führt sie auch zu einer niedrigeren Durchschnittsrendite. In diesem Sinne zeichnet die moderne Portfoliotheorie ein falsches Bild.

Was machen Sie genau – oder sind Sie schlauer als andere?

Nein, wir schauen nur auf die richtigen Stellen. Wer sich bei der Geldanlage am Capital-Asset-Pricing-Modell orientiert, hat blinde Flecken. Im Unterschied zu mir, der an den Optionsmärkten Chicagos gross geworden ist, übersieht er Strategien, die zu einer asymmetrischen, explosiven Ertragsentwicklung führen können – und die funktionieren sehr gut. So gesehen bin ich kein Genie, sondern vielleicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Und was soll das bringen?

Die Lösung für viele Probleme. Pensionsfonds etwa müssen eine gewisse Zielrendite erwirtschaften, um bei laufenden Verpflichtungen nicht insolvent zu werden. Sie müssen etwas riskieren, sonst kommt es garantiert zu Finanzproblemen – und selbst dann kann ihnen eine Rezession zum Verhängnis werden. Die moderne Portfoliotheorie und das Diversifikations-Mantra helfen ihnen dabei nicht, denn Diversifikation ist das Gleiche wie «di-worse-ification». Statt 60% in Aktien und 40% in Anleihen zu investieren, sollte man 97% in Aktien anlegen und sich mit den restlichen 3% mit dem Kauf «explosiver» Instrumente gegen die extremsten Rückschläge versichern. Das wäre weniger riskant als die erste Variante.

Wie setzen Sie Ihre Strategie konkret um?

Ohne ins Detail zu gehen: Wir kaufen im Grunde genommen kurzfristige Verkaufsoptionen, die weit aus dem Geld liegen. Diese werden vom Markt falsch bewertet, und sie sorgen für die angedeutete «Explosivität».

Wieso werden diese Instrumente denn nicht richtig bewertet?

Weil sie nicht dem Geschmack der meisten Investoren entsprechen, indem sie nicht zu ihren Vorstellungen von Risiko und Ertrag passen. Die meisten würden ihren Job riskieren, wenn sie sich gegen etwas absicherten, was nur sehr selten passiert.

Die meisten Investoren tendieren dazu, Volatilität zu verkaufen. Sie dagegen stehen als Käufer auf der anderen Seite . . .

Ja, das ist den extremen geldpolitischen Massnahmen der Zentralbanken zu verdanken. Diese zwingen die Anleger dazu, verrückte Sachen zu machen, um etwas Rendite herauszukitzeln. Eine unverantwortliche Variante ist, Wetten auf scheinbar seltene Risiken einzugehen und dafür nur unglaublich tiefe Prämien zu kassieren. Wir nutzen diese Konstellation, um uns günstig gegen grössere Kursrückschläge abzusichern.

Wie würden Sie Ihr Vorgehen mit anderen «risikomindernden» Strategien vergleichen?

Der Erfolg des Risk-Parity-Ansatzes zum Beispiel hängt unheimlich stark von der richtigen Prognose der Korrelationen zwischen den verschiedenen Anlageklassen sowie vom Einsatz von viel Fremdkapital ab.

Sie setzen kein fremdes Kapital ein?

Nein, im Gegenteil. Wir verwenden den grössten Teil unserer Mittel, um gezielt renditeträchtige Risiken einzugehen, und sichern uns mit einem kleinen Teil gegen Kursrückschläge ab. Im Krisenfall steigt der Wert der von uns gewählten Absicherungsinstrumente so stark, dass wir mit einem beachtlichen Gewinn aus der Position aussteigen können. Dagegen kann es bei einem Risk-Parity-Modell dramatisch werden, wenn die Kurse von Aktien und Anleihen gleichzeitig fallen, wie etwa in den siebziger Jahren. Die Verwendung von Fremdkapital verstärkt die potenziellen Probleme.

Wundern Sie sich denn nicht, wieso Anbieter wie Bridgewater Associates so lange so erfolgreich sind?

Risk-Parity-Modelle können auf kurze Sicht gut aussehen, obwohl sie aufgrund der beschriebenen «di-worse-ification» oft hinter dem Markt zurückbleiben und die Performance eines Anlageportfolios beeinträchtigen.

Können Sie den entscheidenden Punkt näher erklären?

Im Gegensatz zu der modernen Portfoliotheorie kommt es vor allem darauf an, die geometrisch ermittelte Durchschnittsrendite zu steigern. Mit Verweis auf das sogenannte Kelly-Kriterium ist es entscheidend, bei der Geldanlage im Laufe der Zeit grosse Wertverluste zu vermeiden. Einfach erklärt: Wer in einem Jahr 50% seines Vermögens verloren hat, muss danach erst einmal 100% gewinnen, um wieder auf dem ursprünglichen Niveau zu sein.

Das Wichtigste ist also die Absicherung gegen die «big ones»?

Das ist genau das, was wir tun. Tail-Risk-Hedging meint, sich unter Inkaufnahme laufender, leichter Prämienverluste vor wenig wahrscheinlichen Ereignissen mit grossem Verlustpotenzial zu schützen – und das ist viel effektiver als viele andere Methoden des Risikomanagements.

Die Risk-Parity-Modelle haben lange vom historischen Trend fallender Zinsen profitiert. Sind sie nun ausgereizt, da eine Untergrenze erreicht ist?

Ja, ich stimme dieser Überlegung zu.

Was halten Sie von Vorschlägen, geldpolitisch noch extremer zu werden – etwa mit der Anwendung der Modern-Monetary-Theorie (MMT)?

Die Modern-Monetary-Theorie ist ein Frankenstein-Monster. Die ganzen Interventionen führen irgendwann an einen Punkt, an dem man gar nicht mehr damit aufhören kann, ohne ein Desaster auszulösen. Tatsächlich waren schon viele der nach der letzten Krise getroffenen Massnahmen nicht so nötig, wie immer behauptet wurde. Ich glaube an den freien Markt und denke, auch eine Insolvenz könnte weiterhelfen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Die monetäre Intervention lässt sich vergleichen mit der Dynamik von Waldbränden. Löscht man jedes kleine Feuer, wächst das Gebüsch. Gerät dann aber doch eines davon ausser Kontrolle, droht alles in Flammen aufzugehen – so wie wir es im vergangenen Jahr in Kalifornien gesehen haben.

Wirtschaft ist Psychologie. Wann kippt die Stimmung und geht der Glaube verloren, dass die Inflationsraten so tief bleiben, wie sie sind?

Ich habe das künstliche Anheizen der Vermögenspreise immer skeptisch betrachtet. Jeder versucht, diese Welle zu reiten mit dem Ziel, kurz vor dem Ende rechtzeitig auszusteigen. Aber das ist eine Illusion, denn das Ende lässt sich nicht prognostizieren. Es wird wohl erst da gewesen sein, wenn wir es im Rückblick feststellen können.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Sie hätten ständig vor einem Crash gewarnt und nichts sei passiert?

Entscheidend ist, wie man investiert. Bei aller Skepsis reagiere ich pragmatisch auf die Veränderung der Rahmenbedingungen. So setze ich gezielt darauf, dass die Notenbanken die Vermögenspreise nach oben treiben. Aber ich nutze gleichzeitig günstige Möglichkeiten zur Absicherung, die sich aufgrund der enormen Verzerrungen ergeben.